Recht auf Überwachung

Werte Leserinnen und Leser,

nachdem nun immer mehr Einzelheiten des Ausspähskandals rund um NSA, PRISM und Tempora bekannt werden, ist es an der Zeit, die Positionen der einzelnen Beteiligten zu hinterfragen. Abseits von der echten oder gespielten Empörung unserer Politiker lohnt es sich, die Aussagen der US-Politiker der letzten Tage zu analysieren.

US-Außenminister Kerry: Es sei „nicht unüblich“, dass Staaten Informationen über andere Länder sammelten. „Jedes Land, das sich international mit Fragen der nationalen Sicherheit befasst, unternimmt jede Menge Aktivitäten, um seine nationale Sicherheit zu schützen, und dazu gehört das Sammeln von allen möglichen Informationen.“

James Clapper, Direktor der Nationalen Sicherheitsdienste (USA): „Während wir grundsätzlich bestimmte, mutmaßliche Geheimdienstaktivitäten nicht öffentlich kommentieren, haben wir klar gemacht, dass die USA ausländische Geheimdienstinformationen in der Weise sammeln, wie es alle Nationen tun.“

Und dann noch dies: Wayne Madsen, a former US navy lieutenant who first worked for the NSA in 1985 and over the next 12 years held several sensitive positions within the agency, names Denmark, the Netherlands, France, Germany, Spain and Italy as having secret deals with the US. „I can’t understand how Angela Merkel can keep a straight face, demanding assurances from [Barack] Obama and the UK while Germany has entered into those exact relationships.“

Klar, dass sie das sagen. Was aber, wenn tatsächlich Abkommen zwischen Deutschland und den USA bestehen, die unseren Geheimdiensten Informationen der NSA zugänglich machen – für den Preis, dass Deutschland zu den Drittstaaten gehört, die munter abgehört werden dürfen? Klingt nach Verschwörungstheorie – aber bis heute sind Geheimverträge mit den westlichen Siegermächten zur Überwachung in Kraft, die während der Gründung der BRD geschlossen und im Rahmen der 2+4-Gespräche zur Wiedervereinigung Deutschlands bekräftigt wurden. Diese Verträge setzen Teile des Grundgesetzes zugunsten „unkündbarer Siegerrechte“ außer Kraft. Sämtliche Bundeskanzler seit 1949 bis mindestens Helmut Kohl haben Briefe unterzeichnen müssen, die diese Verträge anerkennen. Willy Brandt empörte sich 1969, eine solche Unterwerfung verstoße gegen seinen Amtseid. Er hat sie dennoch unterzeichnet.

Man mag dies im Rahmen des Besatzungsstatus und der fehlenden Souveränität Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg verstehen; allerdings sah Kohl im Jahre 1990 offenbar keinen Grund, diese Verträge außer Kraft zu setzen. Es könnte daher sein, dass die drei US-Herren mit ihrer Einschätzung, alles sei legal, zumindest in Bezug auf Deutschland durchaus recht haben könnten. Zwar wären die NSA-Aktionen nach wie vor nicht mit deutschem Recht oder gar Grundrecht vereinbar –  das aber ist in den Siegerverträgen außer Kraft gesetzt. Mithin: Anything goes.

Ich bin sehr gespannt, wie Merkel & Co uns ihre neuerliche Taten- und Machtlosigkeit verkaufen werden – denn es ist wohl Wunschdenken, anzunehmen, die USA würden nun sofort mit der Überwachung aufhören, wenn doch das Equipment nun schon installiert und einsatzbereit ist. Nicht zuletzt gehen die Wünsche des IM Friedrich und seiner Überwachungsfreunde in dieselbe Richtung: Bestandsdatenauskunft, BND aufrüsten, Vorratsdatenspeicherung. Ob man diese Daten nicht viel billiger bei der NSA bekommen könnte? Am besten per Geheimvertrag, das können sie gut im Innenministerium.

Besser aber, man würfe die ganze Geheimdiplomatie auf den Abfallhaufen der Geschichte, wie es der US-Präsident Wilson bereits 1917 in seinem 14-Punkte-Programm forderte: „Danach sollen keinerlei geheime internationale Abmachungen mehr bestehen, sondern die Diplomatie soll immer aufrichtig und vor aller Welt getrieben werden.“

Man sollte ihm wünschen, dass dieser erste Punkt seines Programms Wirklichkeit wird, bevor es seinen hundertsten Geburtstag feiert.

Es grüßt herzlich

Ihr JL7

 

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