Kölner Ballade

Werte Leserinnen und Leser,

zu Silvester wurden im Rechts-Links-Dialog die Karten neu gemischt. Die Rassisten von rechts haben es ja schon immer gewusst: der Nordafrikaner ist kriminell und will nur an unsere blonden Frauen ran. Die Feministen von links haben es auch schon immer gesagt: Männer sind Schweine, immer und überall. Und von links nach rechts sind sie sich einig: Der Islam stinkt zum Himmel, wenn es um Frauenrechte geht. Und nicht nur da.

Dazwischen stehen nun wir ziemlich ratlos herum. Dass bei einer Million geflüchteter Menschen auch ein paar miese Exemplare dabei sind, haben wir uns schon gedacht. Und dass diese Exemplare nun keine Bombengürtel umgeschnallt hatten, sondern ihre Hände als Waffen einsetzten, macht es tatsächlich nicht besser. Nicht einmal die Tatsache, dass bei den Pegida-Aufmärschen allmontaglich Gewalt auch den anwesenden Journalisten widerfährt, kann davon ablenken: Hier wurde Recht gebrochen, und es scheint, als könne man nicht einmal jemanden dingfest machen, weil alle Täter in der Masse untertauchen.

Es gibt viele Gründe, Frau Merkels Politik zu kritisieren, beispielsweise wegen ihrer homophoben Auftritte im Rahmen der Diskussion rund um die gleichgeschlechtliche Ehe. Ihr Engagement im Rahmen der Bewältigung des Flüchtlingsstroms ist jedoch untadelig – sie verhält sich exakt so, wie es die Väter des Grundgesetzes und das „C“ im Namen ihrer Partei erwarten lassen. Von vielen ihrer Parteigenossen kann man das nicht sagen, und über die einstmals so stolze, freiheitsliebende SPD und ihren Rechtsüberholer-Chef schweigen wir besser ganz.

Nicht schweigen können wir aber über einen großen Teil des Volks – inzwischen lehnt eine relative Mehrheit von knapp 50% Merkels Kurs kategorisch ab und stimmt Parolen wie „Das Boot ist voll“ zu. Nach dem Silvesterknaller und dem nachfolgenden Neujahrskater sind noch weniger Menschen bereit, Merkel zu folgen und die Flüchtlinge willkommen zu heißen.

In früheren Jahren riet man den Politikern manchmal zynisch, sie mögen sich ein anderes Volk wählen, weil man ihre Entscheidungen nicht nachvollziehen konnte. Es mag aber nach den Erfahrungen der vergangenen Tage, nach 15 Monaten Pegida, nach einem kometenhaften Aufstieg der Rechtsaußen-Vertreter in der AfD und nach hunderten von Artikeln mit teilweise rassistischem Gedankengut erlaubt sein zu fragen, ob die Regierung die Intelligenz und Toleranz von Teilen ihres Volkes nicht massiv überschätzt.

Nun ist es aber eine Aufgabe der Regierung, das Volk in die eine oder andere Richtung zu schieben, auch wenn Teile sich erst einmal bockig zeigen. Die westdeutschen Debatten der 50er (Wiederaufrüstung), 60er (Studentenproteste), 70er (Entspannungspolitik) und 80er (Nato-Doppelbeschluss) waren Aufreger, die die Bevölkerung in Lager aufteilten und Streit bis ins Parlament trugen. Die CDU der 70er war nahe daran, einen Staatsstreich zu versuchen, um Willy Brandts Ostpolitik zu verhindern. An Ostern 1983 standen mehr als eine halbe Million Menschen in einer Kette, um für den Frieden und gegen Pershing und Cruise Missile zu demonstrieren – ganz ohne Verabredung auf facebook.

Die aktuelle Situation ist mit den genannten Beispielen durchaus vergleichbar (und nicht etwa mit den Naziaufmärschen in der Weimarer Republik ab 1931) – mit einem Unterschied: den Flüchtlingszustrom kann die Regierung allein nicht beherrschen, sie braucht das Volk dazu, das die Neuankömmlinge begrüßt, aufnimmt und sich um sie kümmert.

Wenn die Hälfte dieses Volkes offen die Opposition erklärt, droht die Integration jedoch zu scheitern, wie man aktuell beim Berliner Lageso recht gut erkennen kann. Wer seit Wochen pro Tag 100 Anträge bearbeiten kann, aber jeden Tag 1000 Menschen einlädt, die dann in der Kälte ganztägig warten müssen, ist nicht dumm, sondern ein Saboteur.

Nun also schärfere Gesetze, eine Residenz- und Integrationspflicht. Gerade letztere sollte allerdings auch einmal den Pegidisten und all ihren Anhängern und Fans zugute kommen. Denn was in Dresden. Leipzig und anderen (nicht nur sächsischen) Städten inzwischen geschieht, wirft die Frage auf, wieso zwar Flüchtlinge die deutsche Verfassung achten sollen, viele Deutsche selbst aber darauf scheißen dürfen (sorry, aber so ist es nun mal). Da ist es nicht mehr mit der Frage getan, welche Kinderstube diese Leute denn genossen haben. Es stellt sich manchmal auch die Frage nach dem Geisteszustand, etwa wenn Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling auf Sarah Palin macht und auf der Pegida-Bühne brüllt:

„Wenn die Mehrheit der Bürger noch klar bei Verstand wäre, dann würden sie zu Mistgabeln greifen und diese volksverratenden, volksverhetzenden Eliten aus den Parlamenten, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäusern prügeln!“

Zum Glück ist eine Mehrheit der Bürger sehr wohl klar bei Verstand und folgt keinen unsinnigen Aufrufen zu Gewalttaten. Leider wird aber die Minderheit, die dazu bereit ist, von Tag zu Tag größer. Es bedarf keines Winks mit dem Zaunpfahl, welche der beiden Gruppen für unsere Gesellschaft die größere Gefahr darstellt: die vergewaltigenden Nordafrikaner-Taschendiebe oder die Montagshetzer und ihre Fans am Rechtsaußenrand von CDU/CSU (und auch der SPD, leider).

Es grüßt herzlich auch im neuen Jahr

JL7

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Politik abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.