Verbietet Minderheiten!

Werte Leserinnen und Leser,

nach den Attentaten in Norwegen haben die deutschen Politiker pietätslos schnell ihre klare Linie gefunden. Hans-Peter Uhl von der CSU wusste schon wenige Stunden später, dass „diese Tat im Internet geboren“ wurde. Und natürlich folgte dieser Erkenntnis sogleich die übliche Forderung nach der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung und schärferen Kontrollen im Internet. SPD-Chef Gabriel, bekannt für seine gute Nase für die Volksmeinung, stößt nun ins gleiche Horn und verlangt ebenfalls schärfere Kontrollen und mehr Denunziantentum im Internet. Aber beide sagen nicht, dass auch die schärfsten Sicherheitsgesetze uns nicht vor den wirklich Verrückten schützen können, obwohl sie es wissen sollten.

Die BILD-Zeitung, immer um Volkes rechte Stimme bemüht, geht noch einen Schritt weiter. In einer Umfrage konnten „repräsentativ ausgewählte Bürger“ zu folgenden vier Themen antworten:

  • Sollen Schusswaffen wie Gewehre und Pistolen in privaten Haushalten generell verboten werden?
  • Sollen Polizei und Verfassungsschutz das Internet stärker kontrollieren und extremistische und gewaltverherrlichende Inhalte so weit möglich löschen bzw. sperren?
  • Soll die rechtsextreme NPD verboten werden?
  • Sollen Killerspiele (sogenannte „Ego-Shooter“) generell verboten werden?

Einmal abgesehen davon, wie wenig sich die Meinungsforscher bei der Kombination dieser Fragen gedacht haben mögen: man ahnt bereits, wie die Umfrage ausging. 79% sind gegen Schusswaffen in Privathaushalten, 80% für eine schärfere Internetregulierung, 63% wollen die NPD verbieten und 64% sind für ein Killerspielverbot – satte Mehrheiten bei jeder Frage, und alles im Namen von Recht und Ordnung.Wir werden in den nächsten Tagen erleben, wie die Herren Uhl, Bosbach und Krings diese Daten für ihre Zwecke ausschlachten und einen stärkeren Staat und angepasste Bürger fordern werden.

Auf die Killerspielfrage antworteten 89 Prozent der Rentner, sie seien für ein Verbot (58 Prozent der 14-29-Jährigen sind dagegen). Man muss sich fragen, wie die Meinungsbildung der bekanntermaßen wenig computeraffinen Rentner zustande kommt, aber die Antwort liegt auf der Hand: die Umfrage verlinkt sogleich zu einem Artikel über „das Böse im Internet„. Aus Presse und TV wissen wir: Kinderschänder, Bankbetrüger, Volksverhetzer, Extremisten, Fanatiker, Kommunisten, Homosexuelle, Atheisten, Muslime, Christen, Sozialdemokraten, Liberale und sogar Konservative, sie alle treiben ihr Unwesen im Internet.

Sind da ein paar Gruppen zuviel in meine Aufzählung gerutscht? Keinesfalls. Jede der aufgezählten Gruppe findet sich am Stammtisch, bei Umfragen und in Internetforen an dem einen oder anderen Pranger wieder. Und jede der aufgezählten Gruppen ist, gemessen an der Gesamtzahl der Bevölkerung, eine Minderheit. Das Strafrecht verfolgt übrigens nur die ersten drei Gruppen.

Umfragen sind glücklicherweise noch keine demokratischen Abstimmungen. Und die Hürden für die direkte Demokratie hängen in Deutschland bewusst sehr hoch, denn sonst könnten auch die folgenden Fragen gestellt werden – und wir würden  bei denselben Befragten auch Zweidrittelmehrheiten für ein „Ja“ erhalten:

  • Soll der Staat Flugzeuge abschießen dürfen, wenn darin Terroristen vermutet werden? (Ok, das war einfach, denn dafür gab es sogar eine parlamentarische Mehrheit, bis das Bundesverfassungsgericht das entsprechende Gesetzt als nicht verfassungsgemäß aufhob.)
  • Soll der Bau von Minaretten verboten werden? (In der Schweiz wurde dies per Volksentscheid beschlossen, in Deutschland gab es Umfragen, die ein ähnliches Bild wie in der Schweiz zeichneten.)
  • Soll die Burka verboten werden? (Bereits Gesetz in Frankreich)
  • Soll Homosexuellen das Recht auf Adoption verweigert werden?
  • Soll Raubkopierern der Internetzugang gesperrt werden? (bereits Gesetz in Frankreich und England)
  • Sollen die Wohnorte vorbestrafter Pädophiler öffentlich einsehbar sein?

Falls Sie bei einer der Fragen nicht so genau wissen, ob ein „Ja“ nicht doch sinnvoll wäre: nach derzeitiger Rechtsprechung wäre kein einziges „Ja“ verfassungsgemäß – auch die Fragestellung selbst wäre bereits ein Verstoß gegen Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes. Minderheiten kann man in Deutschland nicht verbieten. Und seit die Vereinten Nationen (UN) die Sperrung des Internetzugangs als eine Verletzung der Menschenrechte einstufen, ist auch diese Frage beantwortet.

Unsinnige Umfragen und Populismus der Politiker helfen weder im Umgang mit Extremisten noch bei der Suche nach einem vernünftigen Weg zu Sicherheit und Freiheit. Beeindruckend war die Reaktion des norwegischen Ministerpräsident Stoltenberg auf die Attentate: „Unsere Antwort wird mehr Offenheit und mehr Demokratie sein“. Ich kann diesen Satz den deutschen Politikern in SPD, CDU und CSU (und auch den deutschen Rentnern) nur ans Herz legen.

Eine Internet-Stasi brauchen wir jedenfalls nicht.

Herzlichst,

Ihr JeanLuc7

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Politik abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.