Schwulenhass

Werte Leserinnen und Leser,

das Verbrechen von Orlando, bei dem ein Schwulenhasser 50 Menschen erschossen und weitere 53 zum Teil lebensgefährlich verletzt hat, schockiert uns. Hätten die USA doch schärfere Waffengesetze, rufen die einen. Würden die USA doch weniger zimperlich sein im Umgang mit Muslimen, rufen die anderen. Der IS ist an allem schuld, rufen die Dritten. Gleichzeitig plante ein offenbar ebenso Irrer mit einem Auto voller Waffen einen Anschlag auf den Gay Pride-Umzug in Los Angeles und wurde eher zufällig vorher festgenommen.
Während die politischen Parteien in den USA das Thema für sich aus den unterschiedlichsten Motiven heraus instrumentalisieren, bleibt eines festzuhalten: Der Täter hat sich bewusst Schwule als seine Opfer herausgesucht. Er ist 170 km weit gefahren, um mit Waffengewalt in den Club „Pulse“ in Orlando einzudringen und dort ein Massaker zu verüben. Nicht der IS, nicht die Waffen, sondern Gewalt gegen Schwule ist das Thema.
Solange wir tolerieren, dass Religionsführer, Politiker und Ewiggestrige ihren Hass und ihre Verachtung auf Schwule im Rahmen unserer Meinungsfreiheit frei ausleben dürfen, solange wir akzeptieren, dass Schwule in gewissen Kreisen immer noch ungestraft als minderwertig oder gar abartig angesehen werden dürfen, solange werden wir immer wieder Gewalt gegen Schwule erleben, sei es ein Schlagzeilenmassager wie in Orlando, die wöchentlichen Berichte über Angriffe auf Schwule selbst in den Innenstadtvierteln in Berlin oder die ständigen Frechheiten einer Beatrix von Storch, die die Schwulen lieber in Umerziehungslagern sähe als frei herumlaufend auf der Straße. Von den allgegenwärtigen Neonazis auf (vor allem ost-)deutschen Straßen brauchen wir erst gar nicht reden.
Aber reden wir doch einmal über die alltägliche Homophobie in unseren Parteien. Volker Beck schlug eine Welle der Antipathie entgegen, als er mit einer Minimalmenge einer verbotenen Droge erwischt wurde – klar, der Schwule, der Perverse, der Pädophile… Man liest nichts dergleichen über einen CSU-Stadtrat, der seine Drogen in zwei Bordellen gekauft hat. CDU und SPD haben es in Bundestag und Bundesrat inzwischen mehrfach geschafft, die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben abzulehnen. In Berlin hat die CDU eine Mitgliederbefragung durchgeführt, die zeigt, dass die alten Herren zu 53% Schwule ablehnen. Tunesien, Marokko und Algerien sollen zu sicheren Staaten erklärt werden – dass dort offen Schwule ihres Lebens nicht sicher sein können, so what, sind ja bloß Perverse. Frau Merkel erklärte uns vor der Wahl 2013 ganz offen, sie habe ein schlechtes Gefühl dabei, Schwulen und Lesben die Adoption von Kindern zu ermöglichen. Homophobie wegen schlechter Gefühle … ach so, ja.
Und reden wir einmal über die alltägliche Homophobie in den ach so hoch geschätzten Religionen. Die orthodoxen Juden lehnen Schwule ebenso extrem ab wie die Katholiken. Und man glaube bitte nicht, dass die Protestanten besser seien – zu denen zählen die vielen Freikirchen und Evangelikalen, die immer noch glauben, ein 3000 Jahre altes Buch sei Wort für Wort anzuwenden und deshalb Schwule lebensunwürdig. Den Islam lassen wir gleich mal außen vor – Schwule werden in manchen islamischen Staaten an Baukränen aufgeknüpft.
Lasst uns aufhören, Homophobie zu tolerieren. Es ist sinnlos zu hoffen, dass die Menschen sich ändern, wenn ihre Führer ihnen vorleben, dass ihre Meinung geschätzt und wichtig sei – und sie noch aufstacheln in ihrem Hass gegen Schwule und Lesben. Politiker, die Verständnis für Schwulenhasser aufbringen, die „schlechte Gefühle“ haben, wenn sie zwei Mütter mit ihrem Kind sehen oder die Entscheidungen gegen Schwule treffen, sind nicht auf unserer Seite. Sie nicht zu wählen, genügt aber nicht – wir müssen sie immer wieder auf den uns zustehenden Platz in der Gesellschaft hinweisen. Ein „…war wegen der CDU und des Koalitionsvertrags nicht machbar…“ ist eine homophobe Äußerung und nichts anderes. Ein „ich hab‘ nichts gegen Schwule…“ übrigens auch.
Und lasst uns auch aufhören, scheintolerant zu sein. In der ZEIT konnte man in der vergangenen Woche lesen, warum die Konservativen die Schwulen verachten – denn schwule Beziehungen seien einen Angriff auf das traditionelle Familienbild. Hä? Ich habe noch nie einen Familienvater angegriffen, bloß weil ich in einer schwulen Beziehung lebe und meinem Mann liebe. Wer so etwas schreibt, sucht keine Erklärungen, sondern er verkürzt und verklärt die Dinge. Nicht alle Konservativen sind Schwulenhasse, und auch nicht alle Schwulenhasser sind konservativ. Aber alle Schwulenhasser und ihre Freunde in den Parteien und der Presse haben offenbar eins noch nicht begriffen: Wir kommen auch aus ihrer Mitte, aus ihren Familien. Immer wieder. Unausrottbar.
Wenn Orlando eine Zäsur beschreiben soll, dann diese: Hass gegen Schwule muss ein gesellschaftliches No-Go sein. Wer sich homophob äußert, darf keinen Beifall erhalten. Das gilt auch für Schulhöfe, wo das Wort „schwul“ nach wie vor eine Beleidigung darstellt. Solange wir aber im Kleinen verharmlosen, werden wir im Großen weiter unter der alltäglichen Gewalt gegen Schwule leiden, sei sie nun physisch oder rein psychisch. Orlando ist nur die Spitze des Eisbergs – die alltäglichen Kleinigkeiten bilden dessen massiven Körper. Hören wir auf, uns diese Kleinigkeiten bieten zu lassen.

 

Es grüßt herzlich

Ihr JL7

 

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