Unser fragwürdiges Staatsverständnis

Werte Leserinnen und Leser,

anlässlich des Terrorangriffs der Hamas auf israelische Bürger und seiner Folgen führen wir gerade eine Debatte über Asyl- und Strafrecht. Es geht dabei um die Frage, wer in Deutschland weswegen demonstrieren darf und was auf Demonstrationen erlaubt ist. Es geht dabei auch um die Frage, ob durch Flüchtende oder Asylsuchende Antisemitismus importiert wird – und wie man das verhindern kann.

Zuallerst: Deutschland ist ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat. Der Staat wird hierzulande durch die „Grungesetz“ genannte Verfassung eingehegt. Dort ist beschrieben, welche Grundrechte die Bürger gegenüber dem Staat haben. es ist dort auch grundsätzlich beschrieben, welche Staatsform Deutschland hat. Hinzufügen kann man noch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die sich in einzelnen Artikeln widerspiegelt, aber an einigen Stellen noch über das GG hinausgeht. Sie gilt seit 2009.

Und hier beginnt oftmals schon das erste Missverständnis. Das GG definiert nicht, wie von vielen falsch gesehen, Regeln für das Zusammenleben der Menschen untereinander. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit erlaubt es sogar den Bürgern, das GG oder Teile davon abzulehnen. Wäre es nicht so, dann müssten bereits heute die Reichsbürger sowie viele NPD- und AfD-Mitglieder in Haft sitzen. Es ist aber gerade das Merkmal eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats, dass er seinen Bürgern keine staatstragenden Meinungen abverlangt. Artikel 1.2 ist sehr deutlich: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“ Dort steht nichts vom einzelnen Bürger.

Da das GG an vielen Stellen entweder explizit auf Gesetze verweiset, die „Näheres“ regeln oder aber insgesamt vage bleibt darin, wie die Grundrechte tatsächlich zu handhaben sind, gibt es Gesetzbücher, die das übernehmen. Was verboten ist und wie bestraft wird, regelt das Strafgesetzbuch. Für den Umgang miteinander gibt es zusätzliche Gesetze, beispielsweise das Antidiskriminierungsgesetz, das letztlich eine Ausprägung einiger Grundrechte ist.

Un nun geht es darum, was auf Demos gesagt werden darf oder verboten ist. Fangen wir einmal mit dem Antisemitismus an. Es ist in Deutschland nicht verboten, Antisemit zu sein – auch wenn diese Einstellung uns nicht gefällt. Man darf sogar so ziemlich jede Meinung haben. Schwierig wird es, wenn man sie nach außen vertreten will. Sobald die Öffentlichkeit im Spiel ist, kommt auch das StGB ins Spiel, vor allem der Paragraph 140.

§ 140 Belohnung und Billigung von Straftaten
Wer eine der in § 138 Absatz 1 Nummer 2 bis 4 und 5 letzte Alternative oder in § 126 Absatz 1 genannten rechtswidrigen Taten (…)
‚1) belohnt, nachdem sie begangen oder in strafbarer Weise versucht worden ist oder
2) in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) billigt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. 

Straftaten sind auf Demos selbstverständlich genauso verboten wie im sonstigen Leben auch. Es gibt sogar einige weitere Einschränkungen, die bekannteste dürfte das „Vermummungsverbot“ sein. Demos müssen in Deutschland gewöhnlich angemeldet werden (Spontandemos aufgrund aktueller Ereignisse sind erlaubt), sie können aber verboten werden, wenn die öffentliche Sicherheit nicht garantiert werden kann oder gefährdet ist. Wenn also erwartbar auf einer Demo Strattaten begangen werden könnten, kann dies Anlass für ein Verbot sein. Wir erinnern uns: im ersten Coronajahr wurden Demos untersagt, weil die Teilnehmer erwartbar gegen die gesetzlichen Corona-Regeln verstoßen würden.

Im aktuellen Fall geht es nun darum, welche Äußerungen auf palästinensischen Demos in Deutschland getätogt werden dürfen. Und da wird es nun kompliziert, denn es ist einerseits bisher juristisch (noch) nicht definiert, welche Parolen nun genau schon eine „Billigung von Straftaten“, also des Terrors der Hamas, sind und welche eher allgemeine politische und damit erlaubt Äußerungen darstellen.

Der frühere BGH-Richter Dr. Thomas Fischer hat dazu einen ausgezeichneten Kommentar veröffentlich, auf den ich hier verweisen möchte. Ich fasse die wichtigsten Punkte einmal zusammen:

1. Das Bejubeln von konkreten bzw. von hinreichend konkretisierbaren Tötungsdelikten der „Hamas“-Miliz in Israel ist nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar.
2. Die öffentliche Verbreitung der Parole „from the river to the sea / Palestine will be free“ ist im konkreten Bedeutungszusammenhang nach § 140 Nr. 2 StGB strafbar. Eine Strafbarkeit nach § 130 Abs. 1 StGB besteht dagegen nicht.
3. Allgemeine „Solidaritäts“-Bekundungen mit den politischen, humanitären oder rechtlichen Anliegen „der Palästinenser“ oder einzelner Gruppen von ihnen sind nicht strafbar, sondern unterfallen Art. 5 Abs. 1 GG. Entsprechende öffentliche Demonstrationen sind über Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art 2 Abs. 1 GG auch dann gerechtfertigt, wenn die dort vertretenen politischen Positionen einer Mehrheit der (deutschen) Bevölkerung abwegig erscheinen. Die palästinensische Flagge ist kein Kennzeichen der Organisation Hamas und daher nicht nach § 86a StGB strafbar.

In Bezug auf das Verbot einer Demo kommt erschwerend hinzu, dass das Verbot vorher ausgesprochen werden muss – die Exekutive also bereits im Vorfeld davon ausgehen muss, dass auf der Demo mit ziemlicher Sicherheit Straftaten begangen werden. Wenn man bedenkt, dass längst nicht alles strafrechtlich relevant ist, was uns bitter aufstößt, dann wird klar, warum die Richter nicht jedes exekutive Verbot abnicken, sondern Demos auch kurzfristig wieder zulassen. Es ist dann Aufgabe der Polizei, bei der Demo auf Einhaltung der Gesetze zu achten.

Nun zum Asylrecht und dem „importierten“ Antisemitismus. Ja, Flüchtende aus arabischen Gebieten haben oftmals ein sehr gefestigtes antisemitisches Weltbild. Das Asylrecht sieht aber keine Gewissensprüfung vor – wir rühmen uns ja gerade, im Gegensatz zu diktatorischen Staaten eine Freiheit der Meinung zu erlauben. Dass deren Weltbild hier unerwünscht ist und nicht zum GG passt, ist offensichtlich.

Nun aber verlangen Politiker von rechts bis links, dass zukünftige Asylbewerber ein Bekenntnis zum GG und auch zum Staate Israel ablegen sollen. Schon das GG-Bekenntnis ist problematisch, siehe oben. Und was bringt es, wenn ein anerkannter Asylbewerber ein belenntnis unterschreibt, es aber gar nicht so meint? Das achte Gebot der Bibel ist das wohl am häufigsten übertretene…

Also muss man erzieherische Maßnahmen anwenden, um dieses Weltbild zu ändern. Was möglich wäre: bspw. ein mehrwöchiger Staatskunde-Unterricht, in dem den Asylsuchenden unser Staatswesen und seine Regeln im Miteinander beigebracht werden – gern auch in deren Muttersprache, um maximales Sprachverständnis zu erzielen. Das garantiert keine Weltbildänderung – aber bisher wurde es nicht einmal versucht, denn ein solcher Unterricht kostet, anders als populistische Politikerforderungen, viel Geld. Und wo dem Asylbewerber bereits eine Basis-Zahnbehandlung geneidet wird, sind kaum Milliarden für ein Schulungsprogramm zu erwarten. Aber es wäre auch eine Gelegenheit, den neu Hinzugekommenen zu erklären, dass sie hier kaum heimisch werden, wenn sie die Grundregeln nicht beachten.

Viel größer als das Problem mit dem Antisemitismus der neu Hinzukommenden ist aber dasjenige der bereits Ansässigen. Damit sind einerseits Familien arabischer Abstammung gemeint, die nach wie vor antisemitisch eingestellt sind. Andererseits sind damit aber auch jene Deutschen gemeint, die ein geschlossen rechtsradikales Weltbild haben – davon gibt es leider viel zu viele. Und leider wächst ihre Zahl, trotz Zugang zu freien Medien und mindestens einem Schulwissen über die Shoah.

Ganz zuletzt eine Anmerkung: Fachliche Kritik an der Politik der israelischen Regierung ist kein Antisemitismus. Dass dort nach wie vor ein Ministerpräsident regiert, gegen den offen und wohl auch berechtigt wegen Korruption ermittelt wird, ist in meinen Augen eine Schande.

Es grüßt herzlich,

Ihr JeanLuc7

 

 

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