Feigheit vor dem Leser

Werte Leserinnen und Leser,.

dieser Tage erleben wir den Abschied vieler Online-Medien von etwas, das Journalisten und Leser enger zusammenbringen sollte: die Kommentarfunktion unter online gestellten Artikeln. Nachdem der SPIEGEL schon Anfang des Jahres jegliche Kommentierbarkeit seiner Artikel eingestellt hatte und die ZEIT für die meisten ihrer Artikel nur noch vormoderierte und damit zeitverzögerte Kommentare zulässt, hat sich nun auch die FAZ entschieden, die Kommentarfunktion für die meisten ihrer Artikel abzuschalten. Was geblieben ist, ist eine Handvoll ausgesuchter Artikel, die möglichst kein Erregungspotenzial besitzen.

Die FAZ erklärt uns das in einem eigenen Artikel so:

In den rund 3000 täglichen Kommentaren stoßen wir vermehrt auf Beleidigungen und Diffamierungen. Der Ton in den Diskussionen ist rauer geworden, und wir haben Beschwerden sowohl von unseren Leserinnen und Lesern als auch von unseren Autorinnen und Autoren erhalten, wenn wir nicht intervenieren.

Nun ist es ein bekanntes Phänomen, dass Leserkommentarbereiche auch oder gerade jene anziehen, die eine extreme Meinung haben. Dafür gibt es das Hausrecht – die Zeitungen dürfen jeden Kommentar, der ihnen nicht passt, kommentarlos entfernen oder erst gar nicht veröffentlichen. Das ist schon seit der Zeit der Leserbriefe so.

Was diesen Absatz so spannend macht, ist dieser Teil:

auch von unseren Autorinnen und Autoren

Ich persönlich ging bis heute davon aus, dass Leserkommentare von den Autoren nicht gelesen werden. Offenbar ist das bei der FAZ anders, und ebenso offenbar kommen die Autoren mit Kritik nicht klar. Denn – ja – es werden Beleidigungen und Diffamierungen geschrieben, aber die FAZ moderiert schon seit eher im Voraus, kann also solche Kommentare und ihre Schreiber jederzeit vorher aussortieren. Und es darf bezweifelt werden, dass die Autoren von aussortierten Beleidigungen Kenntnis erlangen.

Die FAZ hat allerdings einige Autoren, die selbst gerne weit über das hinausgehen, was den Lesern an Deutlichkeit erlaubt ist, ohne dass die Moderation einschreitet. Da ist zum einen Jasper von Altenbockum, dessen CDU-Hörigkeit aus fast jedem seiner Kommentare tropft. Was gut ist für die CDU, wird gelobt, alles andere heruntergeschrieben. Wenn die Leser diese allzu offensichtliche Parteinahme kritisieren, ist das natürlich kein Fall für Moderation. Und seine mehrfach geäußerte Homophobie fordert natürlich auch Kritik heraus, die man als Moderation nicht einfach unter den Tisch fallen lassen kann:

Nachdem der ehemalige Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger 2014 seine Homosexualität offenbart hatte, verfasste von Altenbockum einen Kommentar, in dem er die sich daraus entwickelnde Debatte als „Rocky Horror Hitzlsperger Show“ bezeichnete und Kritik an Homophobie in Deutschland als völlig übertrieben bezeichnete. Der Kommentar schloss mit den Worten „Es sollte nicht so weit kommen, dass Mut dazu gehört zu sagen: »Ich bin heterosexuell, und das ist auch gut so.«“

Von Altenbockum geriet im Juni 2019 in die Kritik, als er auf Twitter ein Video eines als islamistisch und homophob geltenden YouTube-Kanals verbreitete. In dem Video werden Verschwörungstheorien über den YouTuber Rezo verbreitet, die sich unter anderem mit dessen Unabhängigkeit beschäftigen. Von Altenbockum versah seinen Tweet mit einer Unterstellung gegenüber dem YouTuber Rezo, dieser würde Werbung für den Werbekonzern Ströer betreiben. Nach massiver Kritik löschte von Altenbockum den Tweet und entschuldigte sich für die „missverständliche Formulierung“. [Quelle: wikipedia]

Zum zweiten ist da Reinhard Müller, dem der Rechtstaat so sehr über alles geht, dass er dabei vergisst, dass es Menschen waren, die ihn geschaffen haben. Er ist ein überdeutlicher Fan der allgemeinen Massenüberwachung, denn sie hilft ja, wirklich jeden Straftäter dingfest zu machen. Und seine Position gegen LGBTQI+ ist legendär:

In verschiedenen Artikeln in der FAZ wendet sich Müller gegen die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare, ein gemeinschaftliches Adoptionsrecht für homosexuelle Paare[1] und gegen die rechtliche Elternstellung von homosexuellen, verpartnerten Paaren nach einer Leihmutterschaft in den Vereinigten Staaten. [Quelle: wikipedia]

Auch hier ist vielfach geäußerte substanzielle Kritik kein Grund für ein Einschreiten der Moderation.

Zum dritten ist da Michael Hanfeld, der anders als seine beuiden Kollegen für den Feuilleton schreibt und dort seine Liebe für den fragwürdigen Journalisten Julian Reichelt (Ex-BILD) und seinen Hass auf den ÖRR kultiviert. Er ist ein großer Fan des Leistungsschutzrechts für Presseverleger, weshalb seine diesbezüglichen Artikel immer wieder alles kritisieren, was einen Erfolg dieses fragwürdigen Rechts infragestellen könnte.

Hanfeld sprach sich in mehreren Artikeln der FAZ für das Leistungsschutzrecht für Presseverleger auf EU-Ebene aus. Der Blogger Stefan Niggemeier bezeichnete die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Behauptungen und Argumente Hanfelds als „offensichtlich falsch“ und schlussfolgerte eine „Radikalität der Verlage beim Durchsetzen der eigenen Interessen“, die „keine Grenzen“ kenne.

Hanfeld setzte sich in seiner Berichterstattung zur Urheberrechtsreform der Europäischen Union in einer Reihe von Artikeln für die vorgeschlagene Reform ein, damit sichergestellt sei, „dass Kreative und Urheber einen Lohn für die Verwertung ihrer Werke bekommen“. Hanfeld vertritt damit die Ansicht des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), sowie über 240 europäischer Verbände, die Autoren, Komponisten, Schriftsteller, Journalisten und Fotografen vertreten. Seine Haltung wurde von zahlreichen Gegnern der Reform kritisiert.[Quelle: wikipedia]

Seine ÖRR-bezogenen Artikel folgen immer demselben Schema. Zunächst wird ein kritikwürdiger Einzelfall präsentiert. Dann wird geargwöhnt, dass der ÖRR insgesamt betroffen sein könnte. Bei Reichelt ist es umgekehrt – er wird verteidigt, und seien die Vorwürfe gegen ihn (und derer gibt es viele) auch noch so offensichtlich. So wähnte Hanfeld die Pressefreiheit in Gefahr, weil Reichelt seine schmutzigen Geheimnisse dem Berliner Verleger Holger Friedrich erzählt hatte – und dieser sogleich alles Matthias Döpfner, Reichelts Ex-Chef bei Springer, weitererzählt hatte. Dass die Gerichte darin einen rechtlich einwandfreien Schritt Friedrichs sagen, focht Hanfeld nicht an, weiterhin Kritik zu üben, diesmal auch an den Urteilen.

Zurück zur Frage der Kommentierbarkeit. Alle drei Autoren haben sich bereits vor Wochen von der Kommentierbarkeit ihrer Kommentare verabschiedet. Dafür kann es mehrere Gründe geben, von denen ich zwei nennen möchte:

  • Meine Artikel werden kommentiert von Leuten, deren Beiträge unflätig, beleidigend und diffamierend sind. Das schmälert die Nutzbarkeit des Kommentarbereichs.
  • Meine Artikel werden kommentiert von Leuten, die nicht meiner Meinung sind. Das schmälert meine Argumente.

Sollte ich wetten, würde ich mein Geld bei allen dreien eher auf den zweiten Punkt setzen. Das könnte man dann auch Feigheit vor dem Leser nennen.

Es grüßt herzlich

Ihr JL7

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