Kleine Königreiche

In jedem Jahr wird das zugehörige „Unwort“ gekürt; bisherige Preisträger waren unter anderem die „Ich-AG“, die „Gotteskrieger“ und zuletzt das Attribut „betriebsratsverseucht“. Mein persönlicher Unwortsatz des Jahres lautet hingegen: „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum“. Dieser Satz gehört zum Politikerwerkzeugkasten und wird immer dann zitiert, wenn es um Maßregelungen von Internetnutzern und -anbietern geht. Google listet derzeit (April 2010) mehr als 948.000 Einträge für diesen Satz. Nur 275.000 Einträge finden sich für das Gegenteil, in dem „kein“ durch „ein“ ersetzt wird. Interessanterweise stammen beide Sätze von denselben Personen, jedes mal mit dem Ziel, schärfere Regularien durchzusetzen.

Im realen Leben finden wir auch bei uns dennoch immer wieder Beispiele, in denen Demokratie nicht gilt. Firmenentscheidungen werden beispielsweise auf Basis wirtschaftlicher Entscheidungen oder persönlicher Befindlichkeiten getroffen. Die Entscheidungsfreiheit wird allerdings eingeschränkt durch den Kündigungsschutz, das Gleichstellungsgesetz und das Antidiskriminierungsgesetz. Weitaus weniger Demokratie und Gerechtigkeit herrscht in den kleinen sozialen Gefügen, die wir als „Familien“ bezeichnen und die kleinen Königreichen vergleichbar sind. Die zugehörigen Geschichten liefern seit Jahrhunderten Stoff für Bücher, Theaterstücke und Fernsehserien.

Im Internet heißen solche Königreiche „Foren“, und wie im realen Leben geht es dort sehr bunt und manchmal auch sehr laut zu. Ursprünglich zu technischen Hilfszwecken gegründet, sind heute Internetforen für alle Bereiche des Lebens verfügbar, für Politik, Religion, Bachblüten und immer noch Technik.  Im Gegensatz zur echten Familie ist man zudem noch weitgehend anonym, so dass Meinungsäußerungen oft deutlicher ausfallen als bei einer gesprochenen Formulierung. Reguliert werden diese Foren durch die Könige, die im Internet Administratoren heißen.

Eines der Foren, die ich regelmäßig besuchte, ist MacTechNews.de, eine Seite, die Neuigkeiten über die Firma Apple und ihre Produkte einstellt. Man mag vom journalistischen Wert dieser Seite nicht überzeugt sein, aber sie bietet einen bunten Überblick und dazu ein Forum, in dem technische Hilfe durchaus geschätzt wird.

Kurz und gut: Man hat mich dort vor die Tür gesetzt, weil ich eine Nachricht über die (später tödlich verlaufene) Krankheit eines Apple-Aufsichtsratsmitglied mit folgenden Worten kommentiert habe:

Können wir nicht auch noch den Krankenstand der Apple-Mitarbeiter bekommen? Und wie es den Meerschweinchen von Steve Jobs‘ Nichte geht? Und ob der Kaffee in der Apple-Küche gerade zur Neige geht. Mir gehen schon die Pseudonachrichten wegen Jobs‘ Gesundheitzustand auf den Senkel. Aber das hier – ich meine, diese Seite heißt MacTechNews und nicht AppleIllNews…

Um diese Aussage gab es nach dem Tode des Aufsichtsratsmitglieds eine kurze Diskussion im Forum, in die sich auch der Administrator einmischte mit den Worten:

Hier gibt es leider einige, die in den Newskommentaren immer wieder kräftig aus der untersten Schublade spammen und denken, dass sie hier ungehindert ihre negative Energie auskotzen können. Wir machen es nicht gerne, aber gelegentlich muss man dann vielleicht doch einfach mal den Hahn zudrehen…

Nur wenige Minuten später hatte ich folgende eMail in meinem Posteingang:

Hallo JeanLuc7,
Über Deinen Kommentar heute 10:25 in den News haben wir uns sehr geärgert. Diese Art von Geschmacklosigkeiten vergiftet das Forenklima. Wir haben Deinen Account gesperrt.

Die Sperrung eines Forenzugangs ist in den jeweiligen AGB, die man beim Eintritt bestätigt, enthalten und daher auch akzeptabel. Der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, dass ich mich per eMail und sogar schriftlich für meine Aussage entschuldigt habe – ohne jemals eine Antwort zu erhalten. Das Angebot an derartigen Nachrichtenforen ist groß genug, dass der Verlust nicht ins Gewicht fällt – zumal ich mir bisher nicht bewusst war, „ungehindert negative Energie auszukotzen“. Insofern kann ich mit dieser Sperre gut leben.

Jedoch stört mich dabei der Mangel an Authentizität und Selbstkontrolle. Wer sich gegen „Three Strikes“ und ähnliche staatlich verordnete Regularien ausspricht, sollte nicht gleichzeitig im eigenen Königreich auf One-Strike-Modelle ohne Widerspruchsmöglichkeit setzen. Wir können nicht gleichzeitig von anderen Respekt für unser soziales Umfeld verlangen, um dann selbst nach Gutsherrenart und persönlichen Befindlichkeiten Entscheidungen zu treffen. Diesen Aspekt realer Familien brauchen wir im Internet nicht zu spiegeln.

Daher mein Appell an die vielen kleinen Könige in unserem großen Reich: Geht umsichtig mit Eurer Macht um und zeigt uns, dass Ihr gute Könige seid – nicht nur im Widerstreit mit den regulatorischen Mächten, sondern auch im Umgang miteinander.

Herzlichst,

Ihr JeanLuc7

Dieser Beitrag wurde unter Technik abgelegt und mit , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.