Wenn das Wut-Fass überläuft

Werte Leserinnen und Leser,

ich hatte lange Zeit gehofft, keinen Artikel zur steuerlichen Gleichstellung von eingetragenen Lebenspartnerschaften schreiben zu müssen. Alles schien gut zu laufen: Eine später als „Wilde 13“ bezeichnete Gruppe von Abgeordneten in der CDU hatte ohne Not im August einen Antrag erarbeitet, indem eben diese steuerliche Gleichstellung gefordert wurde – sofort und ohne Einschränkungen. Zudem hatte die CSU endlich den irrlichternden Norbert Geis entsorgt, indem sein Wahlkreis ihm eine erneute Kandidatur für den Bundestag zur Wahl 2013 versagt.

Es war klar, dass der Antrag im Bundestag nicht zur Abstimmung gelangte – vielmehr geschah das Erwartete: Die CDU lud zum Bundesparteitag, und dort sollte eine Diskussion geführt werden. Weit unter meiner Reizschwelle blieb auch der Antrag des evangelikalen CDU-Landesverbandes Fulda, in dem die Gleichstellung als völlig unvereinbar mit christlichen Werten angesehen wurde. Dass der in Familiendingen doppelt erfahrene Seehofer den Antrag unterstützte, gehörte für mich zu einem Dauerfeuer, das seit Jahrzehnten zum täglichen Leben gehört.

Auch als die verheiratete, aber kinderlose Kanzlerin Merkel mit Steinen im Glashaus zu werfen begann, indem sie den Schwulen und Lesben in einer persönlichen Erklärung versagte, was sie und ihr Mann wie selbstverständlich in Anspruch nehmen, war das kein Grund, zu diesem Thema einen Artikel zu verfassen. Es ist bekannt, dass Frau Merkel den Weg des geringsten Widerstands geht, und der führt in 2013 über eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wo zur steuerlichen Gleichstellung eine  Klage vorliegt. Merkel mag sich gedacht haben: Warum sich jetzt die Finger schmutzig machen und Streit riskieren, wenn das im kommenden Jahr andere erledigen.

Die Diskussion hat aber einige unbelehrbare Zeitgenossen an die Oberfläche gespült: In Frank Plasbergs Sendung „Hart aber fair“ (ARD-Mediathek – nur wenige Tage verfügbar) durften Martin Lohmann und Birgit Kelle, beide CDU-Mitglieder und thematisch vorgebildet, erklären, dass alles andere als „Mann und Frau“ wider die Natur sei. Man erfuhr, dass wer ohne Vater aufwächst,  depressiv, drogensüchtig und aggressiv werde. Dass es einen homosexuellen Hype gebe. Dass der Christopher Street Day bloß zur Ausgrenzung der Schwulen führe.

Zuletzt erschien in meiner geliebten ZEIT ein Artikel, der mein persönliches Wut-Fass zum Überlaufen brachte. Darin beklagt ein gewisser Lenz Jacobsen ernsthaft, dass die Gegner der Gleichstellung homosexueller Ehen als Ewiggestrige abgetan werden. Er verlangt, sie so ernst zu nehmen wie alle anderen, egal, ob sie nun von Ängsten, Ressentiments oder harten Argumenten angetrieben werden. Er schreibt dazu: „Es geht ja Gott sei Dank schon lange nicht mehr darum, ob Homosexualität grundsätzlich erlaubt ist.“

Jacobsen geht es also nicht darum, ob Rosa Parks in den Bus steigen darf. Er will aber ersthaft darüber diskutieren dürfen, ob sie vorne sitzen darf oder nach hinten muss, wo die Plätze für die Schwulen für die Schwarzen sind. Man kann es auch anders formulieren: Herr Jacobsen fordert am Diskussionstisch einen gleichberechtigten Platz für diskriminierende, intolerante und gesellschaftlich veraltete Meinungen.

Man muss nicht gleich die härtesten Keulen aus dem Schrank holen, um die Absurdität seiner Forderung offenzulegen – dazu müssen wir nur die Zeit ein wenig zurückdrehen. Seinerzeit gab es auch Fürsprecher, die Vergewaltigung in der Ehe als legitim ansahen; Fürsprecher, die ihre Kinder weiterhin in konsequenter Auslegung der Bibel mit Schlägen züchtigen; Fürsprecher, die unehelich geborenen Kindern, sogenannten Bastarden, nicht dieselben Rechte genehmigen wollten wie den ehelich geborenen. Aus diesen Diskussionen haben die Konservativen offenbar nichts gelernt.

Statt dessen sehen wir uns seit dem vor 11 Jahren gegen den harten Widerstand der CDU/CSU verabschiedeten Gesetz zur Etablierung der eingetragenen Lebenspartnerschaften („Homo-Ehe“) immer wieder vor Gericht wieder, um auf Nebenkriegsschauplätzen die absurdesten Selbstverständlichkeiten beispielsweise beim Erbrecht und bei Beamtenpensionen zu erfechten. Jedesmal hat das höchste deutsche Gericht entschieden, dass gleich behandelt werden muss, was in der Sache gleich angelegt ist: nämlich die Ehe und die eingetragene Lebenspartnerschaft. In beiden stehen Menschen füreinander ein – mein Partner und ich tun dies seit 9 Jahren dokumentengerecht und seit 21 Jahren aus Liebe.

Liebe Lohmanns und Jacobsens, liebe Gleichstellungsgegner, bedenkt bitte: es sind Eure Kinder, Eure Söhne und Töchter, vor denen Ihr Euch fürchtet. Die Schwulen und Lesben wachsen nicht auf dem Feld oder auf Bäumen, und sie werden trotz meist fehlender Vermehrung auch nicht weniger – uns auszugrenzen ist daher ebenso absurd wie Furcht vor uns.

Ob man Hetero ist oder schwul, kann man sich nicht aussuchen; man wird so geboren, wie man ist. Intoleranz hingegen ist eine Frage der Erziehung – und jeder von uns hat die Wahl, sie als Erwachsener abzulegen und den Menschen in dieser Welt offen zu begegnen.

Es grüßt herzlich

JeanLuc7

P.S.: Erwartungsgemäß hat sich der CDU-Parteitag gegen die steuerliche Gleichstellung der Lebenspartnerschaften entschieden. Man wartet nun aufs Bundesverfassungsgericht, wird nach dem Urteil empört aufschreien und dann die Gleichstellung geräuschlos umsetzen. Oder man verlegt sich aufs Familiensplitting als neue Variante. Fortsetzung folgt.

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