Tu quoque, fili mi!

„Auch Du, mein Sohn!“ – angeblich Caesars letzte Worte, als er unter seinen Mördern auch Brutus erkannte, den er wie einen Sohn behandelt hatte. Bei den Grünen ist seit heute Matthias Güldner, Fraktionsvorsitzender dieser Partei in der Bremischen Bürgerschaft, heißer Anwärter auf den Titel „Brutus 2009“.

Herr Güldner mag Mitglied der Grünen sein. Sein Wissen um und sein Verständnis für das Internet passen hingegen weitaus besser in die von-der-Leyen-Ecke. In seinem Gastkommentar in der heutigen WELT online, der auch auf seiner eigenen Webseite zu finden ist, schreibt er:

Die Auseinandersetzung um die Internetsperren dreht sich im Kern aber gar nicht um die – bisher konsensuale – Bekämpfung der Kinderpornografie. Es geht vielmehr knallhart um Definitionsmacht in Zeiten der Virtualisierung der Welt. Ihre Anhänger kämpfen mit hoch effektiven Mitteln für die Rechtsfreiheit ihres Raumes. Wer sich in ihre Scheinwelt einmischen will, wird mit Massenpetitionen per Mausklick weggebissen.

Diese Betrachtungsweise legt nahe, dass es die „Internetanhänger“ waren, die mit dem BKA Freiheitsverträge aushandeln wollten und nun ein Zugangserleicherungsgesetz durchgesetzt haben. Hocheffektive Mittel? Hat die Online-Petition etwa doch zum Erfolg geführt? Lieber Herr Güldner, das darf so aber nicht in die Geschichtsbücher, weil es schlicht falsch ist.

Wir erfahren außerdem folgendes:

Die Tatsache, dass diese Community viel Zeit in virtuellen Räumen verbringt, spielt dabei eine große Rolle. Wer Ego-Shooter für Unterhaltung, Facebook für reales Leben, wer Twitter für reale Politik hält, scheint davon auszugehen, dass Gewalt keine Opfer in der Realwelt fordert. Anders kann die ignorante Argumentation gegen die Internetsperren gar nicht erklärt werden …. Warum nicht, wie in anderen Politikfeldern auch, Baustein um Baustein zusammenfügen, um eine größtmögliche Wirkung zu erzielen? Die Antwort bleibt die Community schuldig.

Ignorante Argumentation? Herr Güldner, Sie sind nur vier Jahre älter als ich – da sollten Sie doch noch erkennen, wer in diesem Spiel die Freiheit verteidigt und wer die bärige Ignoranz in Person verkörpert? Und bitte: welche Antwort soll die Community denn geben als die einzig richtige: dass DNS-Sperren umgehbar sind.

Beim Schreiben ist Ihnen dann zuletzt wohl noch die Sicherung der intellektuellen Disziplin durchgebrannt, denn:

Da haben sich einige wohl das Hirn herausgetwittert. Genauso gut könnte die Tatsache, dass Morde begangen werden, obwohl sie verboten sind, als Argument gegen den Mordparagrafen im Strafgesetzbuch angeführt werden. Die ständig umgangenen Umweltgesetze könnte man sich gleich komplett schenken.

In den Diskussionsforen der ZEIT würde der zuständige Redakteur einen solchen Kommentar mit den Worten versehen „Bitte bleiben Sie sachlich“. Ich antworte Herrn Güldner sachlich: Es geht im Kampf um die Internetsperren nicht um Kinderpornographie – gegen die sind wir alle. Aber die Gegner der Internetsperren kämpfen nicht für einen rechtsfreien Raum, sondern gegen die Errichtung einer Zensurinfrastruktur. Gegen Zensur.

Diese Gefahr hat Herr Güldner, der Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Bremer Bürgerschaft, offenbar noch nicht einmal im Ansatz begriffen.

Es grüßt Sie

JeanLuc7

Nachtrag: Inzwischen hat der Bundesvorstand der Grünen eine Stellungnahme zu Güldners Artikel herausgegeben: „Das Netz ist nicht bürgerrechtsfrei„. Darin findet sich der folgende Satz: “Der Beitrag von Matthias Güldner vom 27. Juli 2009 in der WELT widerspricht deshalb nicht nur unserer grünen Programmlage, sondern schlägt gegenüber denjenigen, die sich für ein freies Internet engagieren, einen aus unserer Sicht nicht akzeptablen Ton an.“

Noch deutlichere Worte findet Max Löffler, Sprecher der Grünen Jugend: „Wer Ego-Shooter für Massenmord, wer Facebook und Twitter für irreale und virtuelle Räume hält, scheint davon auszugehen, dass die Einschränkung der Grundrechte im Netz keine Auswirkungen in der „realen Welt“ hat„.

Noch ein Nachtrag: Auf netzpolitik.org relativiert Matthias Güldner seinen Kommentar.

Danke für die Klarstellung.

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