Werte Leserinnen und Leser,
reflexartig haben sich unsere Sicherheitspolitiker nach dem Bombenanschlag in Boston zu Wort gemeldet:
- Der Sicherheitsfanatiker Hans-Peter Uhl (CSU) hat seine Forderung nach Einführung der Vorratsdatenspeicherung schon in den ersten Stunden nach dem Anschlag erneuert – wobei der konkrete Zusammenhang, wie so oft bei ihm, unklar ist. Mit seinen gebetsmühlenartig vorgetragenen Forderungen erinnert er inzwischen an das Human-Pendant einer Sprechpuppe oder eines Lachsacks.
- Hans-Peter Friedrich (Bundesinnenminister, CSU) hat ebenfalls eine alte Forderung aus dem Keller geholt: Mehr Videoüberwachung soll es richten. Wir erinnern uns an die Bonner Bahnbombe, deren Absteller erst durch eine McDonalds-interne Überwachungskamera gesichtet werden konnte. Der Bahnsteig besaß zwar eine Videoüberwachung, jedoch keine Aufzeichnung derselben. Die Bahn ließ erklären, man habe kein Geld für die Aufzeichnung eingeplant.
- Jörg Ziercke (Chef des Bundeskriminalamts, SPD) schließlich erklärte uns, dass Videoüberwachung „abschreckend wirken und auch entscheidend bei der Aufklärung von Straftaten helfen“ könne. Ziercke, obwohl unbekannter als die beiden vorgenannten, sollte als der gefährlichste der drei eingeschätzt werden. Er war u.a einer der führenden Akteure bei der Diskussion um Internetsperren 2009, die als unrühmliches „Zugangserschwerungsgesetz“ endete. Ziercke versteht perfekt das Jonglieren mit Zahlen und schürt bei seinen Zuhörern kontrolliert Bedrohungsängste, die er stets durch neue Zuständigkeiten für das BKA beantworten möchte.
Zierckes Argumente decken beide Seiten der Videoüberwachung ab. Zur Aufklärung bleibt wenig zu ergänzen: wer über Bilder von jedem und allem verfügt, kann im Nachhinein leicht und unkompliziert jede Straftat und Ordnungswidrigkeit aufklären. Die Abschreckung hingegen ist zweifelhaft: Die Bostoner Attentäter haben ihre Bomben entlang der Marathonstrecke gelegt, die offensichtlich gut mit Kameras ausgeleuchtet war. Auch die Kameras im Bonner Hauptbahnhof waren gut sichtbar – es darf bezweifelt werden, dass der Bombenleger wusste, dass kein Aufzeichnungsgerät angeschlossen war. Noch zweifelhafter wird das Argument, wenn der Attentäter gar nicht die Absicht hat, sein Attentat zu überleben – dann wird ihm jegliche Videoüberwachung egal sein, sofern er nur mit seiner Bombe den größtmöglichen Schaden anrichten kann. Dieser Fall dürfte nicht ganz unwahrscheinlich sein.
Kurz gesagt: mehr Videoüberwachung macht die Straßen nicht sicherer – dafür müsste schon eine Auswertung aller Videodaten in Echtzeit erfolgen. So etwas funktioniert derzeit nur in Kino und Fernsehen. Oder man setzt Menschen vor alle Videomonitore – das wäre dann nicht mehr bloß Stasi 2.0, sondern etwas zwischen 5.0 und 7.0, abgesehen von den immensen Kosten für die vielen Mitarbeiter. Es würde aber die Anzahl der Hartz4-Bezieher massiv reduzieren und wahrscheinlich zusätzlich das Problem der hohen Jugendarbeitslosigkeit in den südlichen EU-Ländern lösen.
Mehr Videoüberwachung kann aber die nachträgliche Aufklärung erleichtern. Wenn die sich dann auf die Auswertung schwerer Straftaten beschränkt, wird man dagegen vermutlich kaum Einwände erheben können – mehr als 80% der Bundesbürger befürworten daher Friedrichs Forderung. Die Erfahrung mit der massenhaften Abfrage von Standorten durch Mobilfunkzellenortung zeigt aber, dass die Polizei Überwachungsinstrumente gerne auch für alle denkbaren und undenkbaren Zwecke nutzt. Kameras aber, die hauptsächlich dazu dienen, Ordnungswidrigkeiten aufzuspüren und die Besitzer zerschlagener Bierflaschen, weggeworfenen Unrats, ausgespuckter Kaugummis und scheißender Hunde zu ermitteln, sind komplett abzulehnen.
Soweit kommt’s noch. Warten Sie es ab.
Es grüßt herzlich
JeanLuc7