Werte Leserinnen und Leser,
Die deutsche Regierung hat festgestellt, dass Edward Snowden in Deutschland kein Asyl erhält, und die SPD hat mal wieder zugestimmt, diesmal durch den altbekannten Dieter Wiefelspütz. Man stützt sich dabei feige auf formale Argumente wie „… kann nur auf deutschem Boden gestellt werden …“ oder „…ist kein politisch Verfolgter …“. Unser Bundespräsident wusste bereits früh, dass Snowden ein Verräter sei, und auch sonst scheinen viele von der Rechtsstaatlichkeit der USA so überzeugt zu sein, dass sie Snowden am liebsten der dortigen Justiz überlassen möchten.
Offenbar sind die Amerikaner allzu sehr daran interessiert, Snowden in die Hände zu bekommen. Heute musste das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales auf dem Wiener Flughafen zwischenlanden und dort zwölf Stunden pausieren, weil mehrere europäische Staaten das Überflugrecht verweigert hatten in der Annahme, Snowden könnte in der Maschine sitzen. Das Flugzeug wurde laut dem österreichischen Außenminister Spindelegger sogar von Beamten durchsucht.
Man stelle sich einmal vor, gleiches wäre dem US-Präsidenten geschehen. Gründe dafür gäbe es in ausreichender Zahl: beispielsweise das millionenfache Abhören und Ausspionieren von EU-Einwohnern. Wenn man es konkreter möchte, würde wohl auch die jahrzehntelange Freiheitsberaubung von Verdächtigen in Guantanamo einen Grund hergeben. Wie auch immer: ein Aufschrei ohnegleichen hätte die Welt erschüttert.
Nun aber zwingen offenbar die USA ihre EU-Verbündeten zu einer Jagd auf einen Informanten, der zudem noch nicht einmal durch einen internationalen Haftbefehl gesucht wird. Ein solcher wird auch schwer zu erwirken sein, weil Snowden wegen Geheimnisverrat gesucht wird, und das ist kein internationales Verbrechen. Natürlich haben Spanien, Portugal und Frankreich die Verweigerung der Überflugrechte selbst zu verantworten. Aber man erkläre mir einmal plausibel, wie sie alle gemeinsam plötzlich auf die Schnapsidee gekommen sein mögen, einen mit diplomatischer Immunität ausgestatteten Präsidenten auf seinem Weg nach Hause zu stoppen.
Offenbar hat da hinter den Kulissen jemand ganz heftig mit Konsequenzen gedroht und Mithilfe eingefordert. Und genau das ist es, was diesen Skandal so unerträglich macht – die ewige Geheimdiplomatie, hinter der sich alle verstecken und die insbesondere den Europäern so viel wert ist, dass sie sogar offensichtliche Fehlgriffe und Rechtsverletzungen der USA darunter verstecken. Es reicht nicht einmal zur Androhung von Konsequenzen. Frau Merkel will nun mit Obama telefonieren – wir können nur hoffen, dass es dabei nicht allein um Kartoffelsuppe geht.
Sascha Lobo hat dieser Tage einen Text aus 1989 ausgegraben, in dem sehr deutlich gezeigt wird, wie bekannt die Abhörthematik bereits damals war. Ich finde den Bezug zu 1989 auch noch aus einem anderen Grund interessant: seinerzeit brach relativ plötzlich und unerwartet die DDR zusammen, und am Ende konnte man jeden Tag neue ungeheuerlichere Informationen über Stasi & Co lesen – und sich freuen, dass das Schlimmste wohl überstanden war. Ich wünsche mir, dass es den verrückt gewordenen Überwachern auf dieser Welt in diesem Jahr ähnlich gehen wird.
Ja, ja Wünsche. Aber hätten Sie nach dem Massaker am Tiananmen-Platz am 4. Juni 1989 gedacht, dass bereits fünf Monate später die Mauer fallen würde?
Man muss eben am Ball bleiben.
Es grüßt herzlich
Ihr JeanLuc7
P.S: Snowden war nicht an Bord der bolivianischen Maschine. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was andernfalls passiert wäre…