Eine Frage der Werte

Werte Leserinnen und Leser,

was haben wir nun nach acht Wochen NSA-Skandal erfahren? Alle betroffenen Regierungen (USA. England, Deutschland) betonen, die Geheimdienste hielten sich an Recht und Gesetz – alles nicht so wild, alles ok, beruhigt Euch wieder. Geschieht alles nur zu Eurem Besten.

Sehr wahrscheinlich sind diese Aussagen korrekt. Die NSA wird sich – bei gefälliger Auslegung der ohnehin laschen USA-Datenschutzregeln – an die USA-Gesetze gehalten haben – sogar an die deutschen (auf deutschem Boden). Und noch weitaus gefälliger sind unsere eigenen Geheimdienste: keine Deutschen betroffen, keine Grundrechte verletzt (auch nicht millionenfach), alles im Rahmen der bestehenden Gesetze. Wenige, leider auch krasse Ausnahmen wie die Behandlung von Khaled al Masri bestätigen die Regel.

Unbestritten – und teilweise sogar durch die NSA bestätigt – sind aber die Methoden, bei denen aus dem Vollen geschöpft und dann per Algorithmus die Bösen von den Guten getrennt werden sollen. Die Briten haben uns zum gleichen Thema freundlich mitgeteilt, dass sie keine Antworten zu geheimdienstlichen Fragen geben werden – ein Dementi sieht anders aus. Unbestritten ist auch, dass der BND allein im Dezember 2012 knapp 500 Millionen Datensätze (Metadaten – das, was bei einer Vorratsdatenspeicherung eben so anfällt) an die NSA übergeben und somit also auch erfasst hat – mit der Begründung, man habe Anschläge verhindert. Die Daten sollen vor allem aus Afghanistan stammen.

Nochmal: Die USA speichern alle Daten vom Rest der Welt, die Briten speichern alle Daten, derer sie über die Transatlantikkabel habhaft werden können, und die Deutschen schöpfen massenhaft Metadaten im Ausland ab. Nach der Analyse (oder Filterung, wie IM Friedrich das schönfärberisch nennt) tauscht man dann die Ergebnisse untereinander aus, und so bekommt der BND ganz legal die Daten, die aus der geplanten staatseigenen Vorratsdatenspeicherung zu entnehmen ihm verboten ist. Alles ganz legal, alles so gewollt, alles konform mit dem Grundgesetz.

Merken Sie, dass da offenbar etwas im Argen liegt? Aber wo? Nun, das Grundgesetz stammt aus der guten alten analogen Spionagewelt, als Abhörwanzen noch in Telefonhörerkapseln versteckt werden mussten und Protokolle mit der Schreibmaschine erstellt wurden. Man hat bei der Definition der Grund- und Menschenrechte nie darüber nachgedacht, dass ein Staat  Zugriff auf Daten der Bürger anderer Staaten nehmen könnte – jedenfalls nicht ohne kriegerische Auseinandersetzung oder Annektierung. Das ist – ganz klassisch – eine Gesetzeslücke, ein Schlupfloch, das offenbar in allen uns bekannten Verfassungen vorhanden ist.

Dieses Schlupfloch mag versehentlich oder aus Unwissenheit vorhanden sein, aber es wird von den Geheimdiensten und den Regierenden durchaus wohlwollend behütet. Keine etablierte Partei in Deutschland hat während der gesamten Snowden-Diskussion jemals in Frage gestellt, ob beispielsweise die Menschen in Afghanistan denn einer kompletten Ausforschung ihres Datenverkehrs zustimmen. Und genauso wenig wurde hinterfragt, dass Briten und USA unsere deutschen Metadaten speichern bis in alle Ewigkeit. Das tun sie nämlich acht Wochen nach dem Beginn des Skandals nach wie vor – und sie werden damit auch nicht aufhören.

Solange die Geheimdienste zwischen Bürgern des eigenen Landes und Ausländern unterscheiden dürfen, wird sich an der inzwischen gängigen Praxis des massenhaften gegenseitigen Ausforschens und Speicherns nichts ändern. Daher müssen wir uns fragen: wollen wir unseren Umgang mit den Grundrechten tatsächlich auf die eigenen Bürger beschränken – oder wollen wir unsere Werte auch auf den Umgang mit den sogenannten „Ausländern“ ausdehnen? Es geht dabei nicht um die Frage, anderen Staaten in deren Land und deren Gesetzen unsere Werte aufzuzwingen, sondern darum, ob wir sie nach unseren Werten behandeln – wie wir es hier im Lande jederzeit tun würden, wenn sie uns besuchen.

Ausländer zu Menschen zweiter Klasse zu machen und ihnen nebenbei das Recht auf Privatspäre zu nehmen, weil es rechtlich nicht anders geregelt ist – das ist jedenfalls keine Option, die mit den Werten unseres Grundgesetzes übereinstimmt. Andernfalls degradieren wir Menschenrechte zu Bürgerrechten, die nur bei uns daheim gelten.

Es ist eine Frage der Werte – nur sehe ich derzeit niemanden in unserer Bundestags-Parteienlandschaft, der diese Werte höher einschätzt als den angeblichen Sicherheitsgewinn durch den Datenspeicherwahnsinn der Geheimdienste.

Wollen wir wirklich weiterhin Menschenrechte nach In- und Ausländern aufteilen, weil unser Gesetz es uns nicht explizit verbietet? Sollten wir nicht besser die derzeitigen Methoden von NSA & Co international ächten?

Es grüßt herzlich

Ihr JL7

 

 

 

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