Mit dem Dreiviertelkopf durch die Wand

Werte Leserinnen und Leser,

Sigmar Gabriel ist bei den Genosssen nun amtlich der unbeliebteste Parteichef seit ihrer Gründung. Sieht man einmal von der Kampfkandidatur Lafontaines gegen Scharping ab, bekam nie ein Parteichef weniger Stimmen als Gabriel bei seinem Parteitag in dieser Woche. Man könnte annehmen, der Mann würde nun seinen neoliberalen Kurs, mit dem er die SPD inzwischen rechts an der CDU vorbei in eine beglückende „Mitte“ führen will, infrage stellen. Aber Siggi antwortete seinen Genossen trotzig:

Jetzt ist mit Dreiviertelmehrheit dieser Partei entschieden, wo es lang geht, und so machen wir es jetzt auch und deshalb nehm‘ ich auch die Wahl an, liebe Genossinnen und Genossen!

Wenn der eine oder andere Genosse gewusst hätte, dass die Parteichef-Wahl in Wirklichkeit eine Richtungsentscheidung war – pro TTIP, pro Vorratsdatenspeicherung, pro Einschränkung der Bürgerrechte, pro Panzer für Saudi-Arabien – dann hätte er wohl mit seinem „Ja“ auf dem Stimmzettel noch länger gehadert. Aber auch ohne dieses Wissen waren immerhin 25% der Delegierten nicht bereit, ihren Parteichef zu stützen beim fortgesetzten Verrat an sozialdemokratischen Idealen.

Nun sind weitere Gabriel-Führungsjahre sicher nicht der Untergang der Sozialdemokratie. Solange gut 20% der Bevölkerung genetisch SPD wählen, wird die Partei eine Rolle spielen. Um aus dem 20%-Turm herauszukommen, genügt es aber nicht, in der sogenannten Mitte zu wildern. Die ist nämlich inzwischen erstaunlich entvölkert: Links tummeln sich mit der „Linken“ und den Grünen zwei Parteien mit zusammen 20% der Stimmen, und die 15% am rechten Rand wählen lieber den Teufel, als für Gabriel zu stimmen, auch wenn er noch dreimal zu PEGIDA rennt. Die übrigen 35%, die genetisch die CDU wählen, obwohl die höchstens einem Fünftel davon wirklich nutzt, kann Gabriel ebenfalls vergessen.

Das SPD-Wählerpotenzial liegt links – das zeigen auch die Wahlen in anderen europäischen Ländern, wo die Bürger irgendwann genug von der EU-verordneten Austeritätspolitik haben und dann Syriza, Podemos und CDU (Coligação Democrática Unitária, das sind die portugiesischen Sozialisten) wählen. In England wurde Jeremy Corbyn zum Chef der Labour Party, ein erklärter Linker, dessen Zielpublikum definitiv nicht die Spekulanten der Londoner Innenstadt sind.

Und es gäbe auch noch die Nichtwähler – jene 40%-Gruppe, die heuer daheim bleibt, weil sie keine Ahnung hat, wen sie noch wählen sollte, denn ob CDU- oder SPD-geführt – jede Regierung seit 1982 hat nie in ihrem Sinne entschieden. Die SPD hat seit 1998 10 Millionen Wähler unter anderem an diese Gruppe verloren. Damals wurde Schröder Kanzler und erhielt 40,9% der Stimmen.

Aber nun führt Gabriel seinen neoliberalen Kurs eben mit einer 75%-Mehrheit weiter und glaubt, diese 75% würden seinen Kurs stützen. Wenn er sich da mal nicht täuscht…

Es grüßt herzlich

Ihr JeanLuc7

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