Das Kopftuchversprechen

Werte Leserinnen und Leser,

die Generalanwältin vor dem Gerichtshof der EU, Juliane Kokott, hat gestern eine Empfehlung zu einem ausstehenden Urteil abgegeben: private Arbeitgeber können das Tragen eines Kopftuches in Zukunft möglicherweise untersagen, wenn wichtige Gründe dagegen stehen. Solche wichtigen Gründe können eine einheitliche Kleiderordnung sein, aber auch das Unterlassen religiöser Bekenntnisse während der Arbeit, wenn sie den Betriebsfrieden stören. Bisher galt, dass zwar öffentliche Arbeitgeber eine Neutralitätspflicht haben und daher das Tragen eines Kopftuchs, eines Kreuzes oder anderer sichtbarer religiöser Bekenntnisse untersagen können. Private Arbeitgeber hatten hingegen der Religionsfreiheit einen größeren Raum einzuräumen und daher Kopftücher gewöhnlich zu akzeptieren.

Ich interpretiere „Religionsfreiheit“ gerne als „frei von Religion“ und möchte daher im öffentlichen Raum möglichst nicht von religiösen Bekenntnissen belästigt werden. Ich störe mich auch an den still feilgeboteten Schriften der Zeugen Jehovas, die seit der Flüchtlingskrise wieder vermehrt auf den Straßen (und auch im Berliner Hauptbahnhof) zu sehen sind und offenbar auf verirrte Muslimseelen hoffen. Der Leipziger Katholikentag – immerhin mit einer Million Euro aus dem stets klammen Beutel der Stadt Leipzig unterstützt – fand nicht den erwarteten Zuspruch. Bei nur 5% Katholiken in Leipzig und insgesamt weniger als einem Viertel der Bevölkerung, das dort noch Mitglied der christlichen Kirchen ist, ist das kein Wunder. Aber es zeigt, dass Religion in der Öffentlichkeit ohnehin keinen großen Rückhalt hat.

Der Kopftuchstreit beschäftigt uns nun aber schon seit vielen Jahren mit unterschiedlichen Resultaten. Denn das Kopftuch wird einerseits als religiöses Merkmal identifiziert, das Frauen eine Kleiderordnung aufzwingt. Andererseits führt ein Kopftuchverbot bei den Religiösen dazu, dass ihnen – wenn sie es denn damit ernst meinen – bestimmte Berufe bzw. Stellen versagt bleiben. Man diskrimiere die Frauen, lautet das Argument der Kopftuchbefürworter.

Der Diskurs geht aber an der Sache vorbei. Wer im Jahr 2016 mit all unserem Wissen um Physik, Biologie und Chemie, aber auch um Umweltverschmutzung, politische Kontroversen, Terror, Kriege und Völkermorde immer noch an wohlmeinende Götter glaubt, hat nicht begriffen, in welcher Welt wir leben. Wenn wir wirklich etwas gegen religiös motivierten Tugendterror tun wollen, dann müssen wir ihm die Unterstützung entziehen. Wenn die religiös Unterdrückten nicht mehr für bare Münze nehmen, was ihnen ihre Unterdrücker einflüstern, würden Debatten wie die um das Kopftuch schnell enden.

Das Heilsversprechen der Religionen besteht für gewöhnlich darin, den Gläubigen ein schönes Weiterleben nach dem Tode zu versprechen, sei es im Himmel vereint mit den Liebsten oder in ewiger sexueller Verzückung mit 72 Jungfrauen (die dann alsbald keine mehr sein werden). Und damit man sich bereits im richtigen Leben anständig verhält, wurde die Hölle erdacht und der Selbstmord sanktioniert als direkter Weg dorthin – man soll ja auch nicht zu schnell im Himmel ankommen.

Stellen Sie sich einmal vor, Ihr Waschmittel würde erst dann sauber waschen, wenn Sie tot sind. Oder Sie würden das neu gebaute Haus erst nach Ihrem Tode sehen und beziehen dürfen. Würden Sie dann ersthaft in Erwägung ziehen, für solche Leistungsversprechen zu zahlen? Warum tun es die Religiösen dann für ihre Religion? Denn nichts anderes wird dort versprochen: ein nicht einklagbares Versprechen auf eine unbekannte Zukunft in einem höchstwahrscheinlich nicht existierenden Land, das keiner je lebend sehen wird. Da kann man natürlich viel versprechen – aber wer zwingt die Menschen, einem derart unsinnigen Kontrakt zuzustimmen und sich hernach gesellschaftlich, sexuell und auch im Zusammenleben unterdrücken oder sogar diskriminieren zu lassen?

Man kann sein Leben auf vielfältige Weise leben und dabei ein halbwegs anständiger Mensch bleiben. Es aber „gottgefällig“ zu leben, das scheitert schon daraus, dass die jeweilige religiöse Definition dieses Wortes eben nicht von einem Gott, sondern von Menschen erdacht wurde – Menschen zudem, die vor mehr als tausend Jahren gelebt haben und nun wirklich gar keine Ahnung davon hatten, wie sehr sich ihre Nachfahren die Welt wirklich untertan machen würden und welche Zutaten heute in unserem Essen sind.  Und nach den Ideen und Worten dieser Leute soll man sein Leben ausrichten, bloß weil ihre Romane und Kurzgeschichten ganz im Stile moderner Fantasy nicht nur von Menschen handeln, sondern von Magie und Übermenschen schwafeln?

Zurück zum Kopftuch und den anderen religiösen Symbolen wie Kreuz, Kippa, Ordenstrachten: Ich mag Menschen auf den Straßen und an den Arbeitsplätzen sehen, jedoch keine religiösen Separatisten. Wenn Ihr Spaß daran habt, Euch zu verkleiden, macht das in Euren vier Wänden oder einmal im Jahr zu Karneval.

Es grüßt herzlich,

JL7

 

 

 

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