Von Schuld und Auslösern

Werte Leserinnen und Leser,

stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: 200-300 junge Leute verschiedenen Geschlechts und verschiedener Ethnie feiern ausgelassen in Stuttgart im Schlosspark den Samstagabend. Mangels offener Clubs, die wegen Sars-CoV-2 geschlossen sind, tun sie das draußen, mit Alkohol, Musik aus den unterschiedlichsten Quellen und dem einen oder anderen Joint. Dann ist da dieser Siebzehnjährige, der sich seinen Joint ein bisschen zu offensichtlich anzündet. Die Polizisten sehen das, verwarnen den Jungen kurz mündlich und gehen weiter. Die Nacht endet, und am nächsten Morgen erinnert nur der typische juventile Müll aus Dosen, Flaschen und leeren Chipstüten daran, dass es in der Nacht wohl recht lustig war.

Es hätte so laufen können. Es lief aber nicht so. Es lief so: Die Polizisten unterzogen den Siebzehnjährigen einer „Drogenkontrolle“, wie es im Polizeibericht stand, und das war der Auslöser für eine Gewaltorgie in der Innenstadt, nach der etwa 40 Geschäftsschaufenster zerstört und die Auslagen an einigen Stellen auch geplündert waren. Es wird zudem von 19 verletzten Polizisten berichtet und 25 Festgenommenen. Zudem sind zahlreiche Videos des Geschehens aufgenommen und online gepostet worden.

Selbstverständlich müssen die Täter nun mit angemessener Bestrafung rechnen, denn die Taten haben sie, sobald sie ihnen nachgewiesen sind, unbestreitbar begangen – als da wären Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Diebstaht, Einbruch, wahrscheinlich auch Körperverletzung in manchen Fällen. Dank der Videos wird der Nachweis vermutlich einfach sein.

Aber musste das sein? Es heißt auch, die Polizei wisse seit Wochen von gewaltbereiten jungen Leuten. Kann man da nicht einmal fünfe gerade sein lassen – wegen eines Joints? Natürlich ist es das gute Recht der Polizisten, Drogenkontrollen durchzuführen. Aber in ein Wespennest stechen, das ist selbst dann keine gute Idee, wenn man per Gesetz jedes Recht dazu hat. Eskalation heißt das, und grundsätzlich sollte die Polizei solche Situationen vermeiden.

Ein paar Worte zur Jointfrage: Ja, Cannabis ist nach wie vor in Deutschland im Betäubungsmittelgesetz aufgeführt und verboten. Eigenbedarf wird aber seitens der Justiz toleriert, wenn auch von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Mengen. Grundsätzlich muss die Polizei daher jedem Fall nachgehen – aber sie tut es an so vielen Stellen nicht. Warum ausgerechnet in einer Samstagnacht bei einer Horde aufgeregter junger Leute?

Man darf bezweifeln, dass es hierfür eine zentrale Anweisung gab. Die Stuttgarter Polizei hat seit 2010 und dem illegalen Wasserwerfereinsatz gegen die eigene Bevölkerung bei den S21-Protesten dazugelernt. Eine zusätzliche Deeskalierungsschulung würde ihr aber sicher gut tun. Manche wissen allerdings auch aus Erfahrung, was man tut und was man besser lässt – nur war von diesen wohl keiner zugegen.

Und nun zu Euch, Ihr Rechtskonservativen, die Ihr durch dieses Ereignis bereits den Rechtsstaat bedroht seht: Es handelt sich um schlichte Gewalt gegen Sachen. Es wurde kein Parlamentsgebäude gestürmt, kein Bürgermeister entmachtet, kein Politiker auf seiner Terrasse oder sonstwo erschossen und auch niemand persönlich bedroht. Es hat auch niemand hinterhältig auf der Lauer gelegen, um Polizisten zu verletzen. Selbst der Polizeibericht spricht davon, dass keine politischen Motive im Spiel waren.

Wenn Ihr, liebe Rechtskonservativen, eine Bedrohung des Rechtsstaats sehen wollt, dann schaut auf jene, die von einem Polizeifax aus Anwälte mit dem Tode bedrohen und die Faxe mit „NSU 2.0“ unterschreiben. Schaut auf die Reichsbürger, die Ihr so gerne verniedlicht – die erkennen unseren Staat nicht einmal an. Schaut auf jene, die die Corona-Proteste nutzen, um Aufruhr zu verbreiten und ein angebliches Recht auf Widerstand nach Artikel 20 GG für sich reklamieren. Oder jene, die wieder „Deutschland den Deutschen“ rufen und es bloß anders formulieren, damit es nicht so hässlich nach Nazi klingt. Diese Leute sind für unseren Staat gefährlich. 25 junge Leute, die Sachschaden anrichten und danach verurteilt werden, sind es nicht.

Es grüßt herzlich

JL7

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Politik abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.