Warum man nicht einkaufen sollte, wenn man satt ist

Werte Leserinnen und Leser,

lange habe ich mich davor gedrückt, das alles bestimmende Thema „Schuldenkrise“ aufzunehmen, aber letztlich habe ich inzwischen so viel Material gesammelt, dass es für einige Artikel reichen wird. Aber beginnen wir mit der Schuldenkrise selbst, die angeblich in Griechenland begonnen hat – oder bei Lehman’s, je nach Auslegung und Quelle.

Tatsächlich hat sie aber viel früher begonnen, und sie ist genau genommen auch keine Schuldenkrise, sondern eine Konsumkrise. Dieser Tage las ich in der Printausgabe der ZEIT eine Studie, in der über die unverdächtige Zeit 2000-2006 referiert wird, eine Zeit, in der jeder Deutsche im Mittel etwa 10.000 Dinge besaß. In dieser Zeit ist das Bruttosozialprodukt in Deutschland um etwa 354 Milliarden gestiegen, was für jeden Deutschen – wiederum im Mittel – die zusätzliche Summe von 4317€ bedeutet. Das war nicht so viel Steigerung wie in früheren Jahren, aber immerhin. Dafür kann man sich schon ein paar zusätzliche Dinge kaufen.

Schaut man sich nun an, wie die Schulden in Deutschland gestiegen sind, so stellt man fest, dass es im Vergleichszeitraum fast dieselbe Summe ist – 342 Milliarden. Mit anderen Worten: Jeder Cent des Wirtschaftswachstums von 2000-2006 ist auf Pump finanziert – es hat gar kein echtes Wachstum gegeben. Sehr ähnliche Bilder ergeben sich übrigens auch für alle anderen Industrienationen – es ist kein deutsches Phänomen.

Es stellt sich die Frage, warum Wachstum in den Industrienationen nur noch durch Schulden erreicht werden kann und die Wirtschaft seit vielen Jahren nicht mehr aus eigener Kraft wächst wie bis hinein in die 1990er Jahre.  Die Antwort ist verblüffend einfach; ich höre sie jedes Jahr, wenn ich meine Mutter frage, was sie sich zu Weihnachten wünscht: „Nichts, ich hab doch alles“. Klar – wer 10.000 Dinge sein eigen nennt, braucht eben keine weiteren 1.000 – er ist satt. Neuanschaffungen kommen nur noch infrage, wenn alte Dinge ersetzt werden sollen. Besondere Anschaffungen folgen nur aus besonderen Angeboten – der der Krise trotzende Konzern Apple ist ein gutes Beispiel. Aber im allgemeinen: Wann haben Sie zuletzt einmal etwas richtig Neues gekauft, das zu nichts davor vergleichbar war? Bis hinein in die 1970er Jahre war das aber der Normalfall.

Aus Konsumstagnation entsteht aber kein Wirtschaftswachstum mehr. Das ist per se gar nicht gefährlich, allerdings passt es nicht zu unserem Verständnis von Wirtschaft, Wachstum und Kapitalismus. Eine Wirtschaft, die nicht wächst, lässt keine neuen Jobs entstehen. Sie neigt statt dessen zum regelmäßigen Kriseln, wie wir das seit Jahren erleben, aber auch nicht zum echten Absturz. Der Staat reagiert auf diese Krisen mit dem immer gleichen Rezept: Investition in die Märkte, zuletzt in der Breite erlebt bei der Abwrackprämie, die den Staat (uns) viel Geld gekostet hat, damit die Bürger (wir) ein paar Autos günstiger kaufen konnten. Rechnen Sie das mal zusammen – wieder eine Nullsumme.

In Krisenzeiten greifen unsere Politiker also immer wieder gerne auf die Thesen von John Maynard Keynes zurück: In Krisenzeiten soll der Staat zu finanz- und geldpolitischen Mitteln greifen, um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage wieder an das Niveau heranzuführen, bei dem Vollbeschäftigung herrscht. Aber wie so oft im Leben lohnt es sich, die Keynes’sche Botschaft vollständig zu lesen: Seine These beinhaltet nämlich auch, dass seine Enkel einmal in einem Zeitalter ein Leben führen können, in dem Wachstum nicht mehr nötig ist, weil jeder bereits alles hat.

Dieses Zeitalter ist – jetzt.

Es grüßt herzlich

JeanLuc7

 

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