Recht auf Vorhaut

Werte Leserinnen und Leser,

ein Kölner Gericht hat die Beschneidung von Säuglingen und Kindern aus nicht-medizinischen Gründen für rechtswidrig erklärt – es gilt als Körperverletzung. Dabei handelt es sich um nichts weiter als eine konsequente Anwendung unseres Strafrechts – ein Arzt, der einem Kind auf Wunsch der Eltern ohne medizinische Grundlage den Fuß abschneidet, wird ebenfalls wegen Körperverletzung angeklagt, sobald der Staat davon erfährt.

Nun ist die Beschneidung allerdings bei Juden und Muslimen ein religiöses Ritual, und das macht die Angelegenheit heikel und kompliziert. Verbände beider Religionen argumentieren, dass es sich um ein Jahrtausende altes, wichtiges Ritual handle, ohne das die jeweilige Religion nicht funktioniere. Zum Hintergrund: im Judentum wird die Beschneidung im 1. Buch Mose, Kapitel 17 erwähnt und verpflichtend eingeführt; Abraham wird dort zugeschrieben, sich selbst mit 96 Jahren noch beschnitten zu haben. Bei den Muslimen hingegen fehlt eine solche verpflichtende Stelle, jedoch ist hier die Beschneidung von Kindern gelebte Tradition.

Dennoch konnte das Gericht gar nicht anders entscheiden: ein nicht zu eigenen Entscheidungen fähiger Erdenbürger darf nicht körperlich verletzt werden, bloß weil es den Eltern gefällt. Nicht umsonst sind Schläge als Erziehungsmaßnahme für Kinder heute geächtet, und die sogenannte Beschneidung von Frauen ist seit einigen Jahren strafbar und verjährt auch nicht, bevor das Kind erwachsen wird. Nicht zuletzt erkennt man an schreienden Säuglingen und heulenden Kleinkindern, dass der Eingriff Schmerzen verursacht. Das Gericht hat keine religiöse, sondern eine weltliche Entscheidung getroffen und dabei geltendes Recht angewandt.

Wie sollten nun die Religionen damit umgehen? Sie sollten sich anpassen. In Israel existiert bereits eine Gemeinschaft von Familien, die sich gegen die rituelle Beschneidung ihrer Kinder entschieden haben – sollen die Kinder das doch entscheiden, wenn sie erwachsen sind. Das wäre auch hier möglich: ebenso wie Piercings und Tattoos (erfüllen ebenfalls den Tatbestand der Körperverletzung) kann auch die Beschneidung durchgeführt werden, wenn der Betroffene dies wünscht und offenbar eigenständig entscheiden kann. Das aktuelle Geheule von Vertretern aller großen Religionen und ihre Berufung auf das angebliche Recht zur religiösen Selbstbestimmung sollten einem Diskurs weichen, wie Religion und Rechtsstaat zueinander passen können. Hierzulande gilt zuerst die körperliche Unversehrtheit – dann kommt die Religion.

Im übrigen möchte ich – als mit 20 Jahren vollnarkotisiert Beschnittener – aus eigener Erfahrung darauf hinweisen, dass zwischen „mit“ und „ohne“ sehr wohl ein wesentlicher Unterschied besteht. Ausrufe wie „braucht man nicht“ oder „völlig unnötig“, wie sie gerne von Unwissenden vorgebracht werden, sind fehl am Platz. Auch die Berufung auf hygienische Gründe mag man bitte den jungen Erwachsenen überlassen.

Und wer nun mit der Geringfügigkeit des Eingriffs und dem „bisschen Schmerz“ eine differenzierte Betrachtung einfordert, mag sich bitte zunächst fragen, ob er bei polizeilichen Vernehmungen auch ein „bisschen Folter“ für zulässig hält.

Es grüßt herzlich

JeanLuc7

P.S: Wie geht’s weiter? Erwartungsgemäß wird der Gesetzgeber aktiv werden und die religiöse Bescheidung unter Vorbehalt straffrei stellen. Dieser Vorbehalt gibt dem Beschnittenen später die Möglichkeit, rechtlich gegen den Staat vorzugehen – mit unvorhersehbaren Folgen. Das ist keine gute Lösung; sie wird aber den Frieden wiederherstellen.

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