Werte Leserinnen und Leser,
meine alte Freundin Susanne Gaschke hat nach elf Monaten im Amt des Oberbürgermeisters von Kiel das Handtuch geworfen und wird nun wieder einfache Journalistin. Gaschke, das war die ZEIT-Redakteurin, die Ursula von der Leyen für ihr Internet-Stoppschild gratulierte und es sofort auch auf Urheberrechtsverletzungen ausdehnen wollte. Die das Internet am liebsten wieder abgeschaltet hätte, weil es Kinder in ihrer Entwicklung gefährde.
Gescheitert ist Frau Gaschke am Versuch, Politik mit dem besseren Wissen des Journalisten zu betreiben. Dieser muss manche Entscheidung allein fällen und für sie fechten. Beim Versuch, einem Arzt knapp die Hälfte einer 8-Millionen-Steuerschuld zu erlassen, hätte sie jedoch besser dem Kieler Stadtrat vertraut, statt allein voranzugehen. Sie hätte auch ihrem Parteikollegen, ihrem Amtsvorgänger und amtierenden Schleswig-Holsteiner Ministerpräsidenten Albig vertrauen sollen, als er ihr riet, die ganze Aktion auf viele Schultern zu verteilen. Sie blieb stur, allein und verantwortlich. Nachdem schließlich der Staatsanwalt wegen Untreue in besonders schwerem Fall ermittelte, gab es nur noch den Rücktritt.
Statt aber die Schuld nun einsichtig zu übernehmen, goss Frau Gaschke in ihrer letzten Rede ein Fass Gülle über die Berufspolitiker aus und wies ihnen die wahre Verantwortung zu. Keine Chance habe sie erhalten, das „Spiel“ auf ihre Weise zu spielen. Nicht sie sei weich, sondern jene, die vor ihr nicht entschieden hätten, wie man mit der Millionen-Steuerschuld umgehen wolle – die „testosterongesteuerten Politik- und Medientypen“.
Dies zuerst: Es zeugt von einem seltsamen Amtsverständnis, die Führung der Stadt Kiel mit ihren 240.000 Einwohnern als Spiel zu betrachten. Allerdings darf man einer Rede einer gelernten Journalistin durchaus einen dramatischen Aufbau zutrauen, und daher ist der Höhepunkt ihrer letzten Rede offensichtlich das Attribut „testosterongesteuert“. Danach jedoch kam nicht ein schneller Abgang nach rechts, sondern ein depressives, nur mühsam ausklingendes Gejammer vor dem Publikum.
Fast möchte man Frau Gaschke zurufen, dass ausgerechnet Testosteron zu den Arzneien zählt, die Patienten mit Depressionen verschrieben werden. Danach fiele es ihr sicher leichter, die Schuld für das Amtsdebakel beim wahren Verantwortlichen zu suchen – und damit meine ich nicht das Östrogen.
Es grüßt herzlich
JL7