Werte Leserinnen und Leser,
seit nunmehr fünf Jahren begleitet uns die drohende Staatspleite in Griechenland. Zum Hintergrund: Griechenland hat jahrelang günstige Kredite von den europäischen Banken erhalten, weil es Teil der EU-Währungszone ist und damit die Maastrichter Stabilitätskriterien einhalten musste:
- Das Haushaltsdefizit darf nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen.
- Die gesamtstaatliche Verschuldung sollte 60 Prozent des BIP nicht übersteigen. Dieser Artikel wird jedoch flexibel ausgelegt. Es reicht, wenn die Verschuldung kontinuierlich abgebaut wird und sich dem Wert von 60 Prozent nähert.
- Die Inflationsrate darf sich nicht weiter als 1,5 Prozentpunkte vom Durchschnitt der drei preisstabilsten Länder entfernen.
- Die langfristigen Zinssätze dürfen nicht mehr als zwei Prozentpunkte über dem Niveau der drei EU-Länder mit den niedrigsten Zinsen liegen.
- Die Währung muss sich mindestens zwei Jahre lang innerhalb der „normalen Bandbreiten“ des Europäischen Wechselkursystems ohne Abwertung bewegt haben.
Griechenland hat bereits bei der Aufnahme in die Euro-Zone eine Reihe dieser Kriterien nicht erfüllt und dann auch noch jahrelang falsche Zahlen geliefert, bis sich der Rauch der Bankenkrise von 2008 lichtete – und jedermann sehen konnte, dass man einem nackten Mann nicht in die Taschen greifen konnte.
Waren zu Beginn der Griechenlandkrise auch noch private Geldgeber („Kleinsparer“) beteiligt, so sind es heute nur noch Großbanken. Rettungspakete wurden geschnürt – und von aberwitzigen Bedingungen abhängig gemacht, die in der Summe in Griechenland zu einer Massenarbeitslosigkeit, zu einem Produktivitätsrückgang von mehr als einem Viertel und zu erheblicher Armut geführt haben – Bundeskanzlerin Merkel nennt das „Austeritätspolitik“, denn die Griechen sollen nun vor allem sparen, sparen, sparen. Geld hatten sie zuvor schließlich jahrelang im Überfluss.
Bei derselben Gelegenheit hat man auf EU-Bankenseite diese Politik auch gleich anderen Schuldenschurkenstaaten auferlegt: Spanien, Portugal und Italien sind kaum besser, aber auch Frankreich schlingert.
Die politischen Folgen sind unübersehbar: In Deutschland gewinnen mit der AfD Parteien und Pegida Ansichten an Einfluss, die das „deutsche Geld“ lieber hier sähen als in Griechenland. Sollen sie dort doch Kuchen essen! Oder Oliven, die wachsen doch dort? Dabei handelt es sich gar nicht so sehr um „deutsches Geld“, sondern vor allem um Investitionen von Großbanken und deren Großinvestoren, deren Geld vom ESF-Rettungsschirm gesichert wird, indem sie im Zweifelsfall deutsche Steuergelder statt griechischen Rückzahlungen bekommen.
In den südlichen Ländern gewinnen linke Parteien an Einfluss, und das ist vielleicht nicht einmal die schlechteste Nachricht. In Griechenland gewann die linke Syriza die Wahl, endlich eine Partei, deren Chefs nicht zur griechischen korrupten Klassenelite gehören. Und Ministerpräsident Tsipras heizt den Neoliberalen in Berlin und Brüssel ordentlich ein, denn er zieht erstmals einen Ausstieg aus dem Euro tatsächlich in Erwägung – mit all den unüberschaubaren Folgen, die das für das europäische Währungssystem haben könnte. Fast eine kleine Revolution…
Revolution? Warum nicht? Man kann es nicht oft genug sagen: In Berlin und Brüssel wird zugunsten des bestehenden Establishments regiert. Banken und Großinvestoren sollen und müssen um jeden Preis geschützt werden, auf dass die Wirtschaft weiterhin ins Unendliche wachse. Frau Merkel nennt das „marktkonforme Demokratie“ und meint damit, dass freiheitlich-demokratische und insbesondere humanitäre Entscheidungen immer der aktuellen Wirtschaftslage und den Wünschen der Großinvestoren untergeordnet bleiben müssen.
Aber ist es das, was wir wollen? Eine riesige und weiter wachsende Schere zwischen Superreich und Hartz4? Eine abgeschirmte Kaste von Menschen, die uns mit Euro-Bündeln in der Hand und Duck’schen Geldspeichern daheim die Welt erklärt? Die unsere Welt – sprechen wir es einmal aus – in näherer Zukunft (50-100 Jahre) in einen post-apokalyptischen Alptraum verwandeln wird, weil der Irrglaube an das ewige Wirtschaftswachstum das Klima zerstören und die fossilen Brennstoffe aufgebraucht haben wird?
Ich kann dem griechischen Ministerpräsidenten nur alle Daumen drücken: möge er seinen Schuldenschnitt bekommen. Und möge dann auch der Rettungsschirm bersten, weil keine Regierung im Ernstfall wirklich für die griechischen Schulden aufkommen will – denn erklären Sie das mal Ihren Wählern daheim. Das mag extreme Folgen für die Banken und ihr geliebtes Investmentbanking haben (das übersetzt in etwa bedeutet: „Wie werde ich reich vom Geld anderer Leute?“). Aber glauben Sie wirklich, reale Arbeit und reale Werte würden davon betroffen sein?
Diese Erkenntnis reift gerade in den südlichen Ländern. In Deutschland scheint man davon noch weit entfernt zu sein – die aktuellen Wählerumfragen zeigen jedenfalls bleierne Schwere und keinerlei Bewegung. Die beiden großen neoliberalen Parteien CDU und SPD würden zusammen immer noch 65% der Stimmen erhalten.
Jetzt sind Sie am Zug.
Es grüßt herzlich
Ihr JL7